Grundlagen
Dringt ein Positron in kondensierte Materie ein, so verliert es innerhalb von einigen 10-12 s einen Großteil seiner kinetischen Energie durch inelastische Stöße mit Elektronen. Durch Phononenanregung wird es schließlich auf thermische Energien (3/2 kT ≈ 0,04 eV bei Raumtemperatur) abgebremst, und es beginnt durch das Gitter zu diffundieren. Das Positron annihiliert am Ende dieses Prozesses mit einem Elektron. Während seiner Lebensdauer von τ = 100...300 ps legt das Positron in Metallen oder Halbleitern typischerweise einen Diffusionsweg x = 200-300nm zurück. Der mittlere Diffusionsweg errechnet sich nach x = √ D 6 τ , wobei D die materialabhängige Diffusionskonstante des Positrons und τ die Lebensdauer ist.
Durch seine positive Ladung erfährt das Positron eine abstoßende Kraft der Atomrümpfe. Jeder fehlende Atomrumpf (Leerstelle) führt daher zu einer Absenkung der potentiellen Energie des Positrons - es entsteht ein attraktives Potential, in dem das Positron lokalisiert werden kann (Haftstelle). Ist das Positron einmal in einer Leerstelle eingefangen, so kann es aus dieser vor der Annihilation nicht mehr entweichen, da seine kinetischen Energie Ekin = 3/2 kT ≈ 0,04 eV bei Raumtemperatur verglichen mit der Bindungsenergie von typischerweise ca. 1 eV viel zu klein ist.
Andere mögliche
Haftstellen für Positronen sind Korngrenzen, Ausscheidungen und Versetzungen. Hier besteht zum Teil noch Unklarheit über räumliche Ausdehnung und Tiefe des Potentials der Haftstellen. Der Positroneneinfang in Haftstellen wird durch Ratengleichungen, dem sogenannten Trapping-Modell beschrieben, welches auch die Grundlage einer Bestimmung der Defektdichten ist. Das Positron stellt somit eine sehr empfindliche Fehlstellensonde dar, wobei die Ansprechschwelle bei > 10-6 Defekten pro Atom liegt. Aus der Diffusionslänge von einigen 100 nm im ungestörten Gitter folgt eine theoretische untere Grenze für die makroskopische Ortsauflösung jeglicher Messung mit Positronen, die bei etwa 0,5 µm liegt.
Impulsverteilung der Annihilationsstrahlung
Bei der Annihilation eines Positrons mit einem Elektron werden die Ruhemassen sowie die kinetische Energie der Teilchen als γ-Strahlung frei. Aufgrund der Erhaltung von Impuls und Drehimpuls erfolgt die Zerstrahlung dabei überwiegend in zwei γ-Quanten, die im Schwerpunktsystem eine Energie von jeweils 511 keV besitzen und in einem Winkel von 180º abgestrahlt werden.
Im Laborsystem ist der Gesamtimpuls des Systems aufgrund des Beitrags der Elektronen von Null verschieden . Bei der Betrachtung der Annihilation thermalisierter Positronen liefert der Elektronenimpuls den wesentlichen Anteil zum Gesamtimpuls des Systems, während der Impuls des thermalisierten Positrons vernachlässigt werden kann. Die Energieänderung der γ-Quanten um ΔE = ± 1/2 pLc wird in der Dopplerverbreiterung der 511 keV Annihilationslinie sichtbar, wobei pL der Longitudinalimpuls des Elektrons und c die Lichtgeschwindigkeit ist.
Zur Auswertung der Dopplerverbreiterung (Doppler Broadening of the Annihilation Radiation (DBAR)) werden im allgemeinen integrale Größen wie der S-Parameter (shape) und der W-Parameter (wing) verwendet, deren Definition im folgenden dargestellt ist. Der SParameter ist charakteristisch für Annihilation der Positronen mit Valenzelektronen, während der Beitrag zum Impulsbereich, in dem der W-Parameter bestimmt wird, überwiegend von Rumpfelektronen stammt. Da die Halbwertsbreite der Annihilationslinie bei 2...4 keV liegt, kann ein intrinsischer Ge-Detektor mit einer typischen Energieauflösung von etwa 1,2 keV den Annihilations-Peak auflösen.
Für in Leerstellen lokalisierte Positronen besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, mit Elektronen des Valenzbandes (niedriger Impuls) als mit kernnahen Rumpfelektronen (hoher Impuls) zu zerstrahlen, so dass bei einer erhöhten Fehlstellendichte im Empfindlichkeitsbereich der Positronen ein gegenüber dem defektfreien Material größerer S-Parameter gemessen wird. So stellt die Messung des S-Parameters eine geeignete Methode zur Bestimmung der Fehlstellendichte (Dichte atomarer Defekte) in Metallen und Halbleitern dar.
Positronenlebensdauerspektroskopie
Neben der Impulsverteilung kann auch die mittlere Positronenlebensdauer τ=1/l, die proportional zur Elektronendichte ist, einfach gemessen werden. Dabei ist l die Annihilationsrate. Das gemessene Positronenlebensdauerspektrum setzt sich aus den Beiträgen der Positronenlebensdauern des ungestörten Gitters und der verschiedenen charakteristischen Positronenlebensdauern der Fehlstellen zusammen. In Plastizitätsmessungen findet man in Metallen für den S-Parameter und 1/l bezogen auf die Schubspannung t denselben Dynamikbereich. Ein Vorteil der Positronenlebensdauerspektroskopie (Positron Annihilation Lifetime Spectroscopy (PALS)) gegenüber der Messung der Impulsverbreiterung (DBAR) ist die Möglichkeit, mehrere Defektarten identifizieren sowie deren Konzentrationen bestimmen zu können.